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Ideologie und Herrschaftsrationalität : Nationalsozialistische Germanisierungspolitik in Polen [electronic resource]
Ist Teil von
Studien zur Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts
Auflage
1st ed
Beschreibungen/Notizen
»Die annektierten Gebiete in Polen wurden zum Schauplatz vielfältiger Machtkämpfe, in denen sich Experten des ›Rassestaates‹ und Vertreter einer traditionellen Germanisierungspolitik gegenüberstanden. Gerhard Wolf verfolgt die gewundene und uneinheitliche Umsetzung nationalsozialistischer Politik bis auf die lokale Ebene und schafft damit die dringend notwendige Klarheit in der vertrackten Diskussion um die Bedeutung der Ideologie für die nationalsozialistische Herrschaft.« Geoff Eley, University of Michigan »Gerhard Wolfs exzellente Studie verdeutlicht, wie sehr die nationalsozialistische ›Volkstumspolitik‹ durch traditionelle Vorstellungen von Zugehörigkeit und Ausschluss geprägt war. In Überwindung der verkürzten Gegenüberstellung von ›Ideologie‹ und ›Pragmatismus‹ zeigt Wolf, dass Politik beides zugleich sein konnte: praktisch und prinzipienfest. Hier wird deutlich, wie ein dynamisches Verständnis der Grenzen, die jene, die dazugehörten, von den anderen trennte, zu einem entscheidenden Instrument zur Festigung deutscher Herrschaft werden konnte. Diese Herrschaft erfuhr durch das, was wir heute in falscher Homogenisierung als ›nationalsozialistische Ideologie‹ bezeichnen, ihre Legitimation und wurde gleichzeitig durch sie geformt.« Donald Bloxham, University of Edinburgh
Für die Forschung zur nationalsozialistischen Besatzungspolitik in Polen scheint der Befund eindeutig: Auf einen brutal geführten Krieg folgte der von der SS vorangetriebene Versuch, zumindest den annektierten Westen in einen »Exerzierplatz« rassischer Lebensraumpolitik zu verwandeln, in eine - so Himmler - »blonde Provinz«. Gerhard Wolfs Analyse fördert indes Überraschendes zutage: Nicht der SS-Apparat war hier maßgeblicher Schrittmacher der Germanisierungspolitik, sondern die Zivilverwaltungen. Himmler schaltete sich erst ein, als diese eine Selektionspraxis durchsetzten, die die »völkische Zugehörigkeit« zum alles entscheidenden Selektionskriterium erklärten. Himmlers Anstrengungen, »völkische Zugehörigkeit« durch »rassische Eignung« zu ersetzen, re?ektiert einerseits die zentrale Bedeutung von Rasse in der Weltsicht des SS-Apparats, andererseits aber auch die Absicht, den Selektionsprozess unter die Regie des Rasse- und Siedlungshauptamtes, also unter die eigene Kontrolle zu bringen. Himmler scheiterte schließlich an den Zivilverwaltungen. Diese waren nicht bereit, Macht abzutreten, zumal sie erkannten, dass die wirtschaftliche Ausbeutung dieser Gebiete und ihre dauerhafte Sicherung nicht gegen, sondern nur mit dem größten Teil der einheimischen Bevölkerung zu erreichen war; sie sollten gerade nicht als »rassisch minderwertig« vertrieben, sondern als »Deutsche« oder doch »Wiedereinzudeutschende« in die »deutsche Volksgemeinschaft« integriert werden. Der Verweis auf »Volk« war natürlich nicht weniger ideologisch, ermöglichte aber mit der »Deutschen Volksliste« ein Selektionsprogramm, das nicht auf »rassische« Merkmale, sondern auf kulturelle und soziale Praktiken setzte und Personen identi?zierte, die bereit waren, sich der deutschen Herrschaft zu unterwerfen. Gerhard Wolfs innovative Studie bricht mit den gängigen Annahmen über nationalsozialistische Besatzungspolitik, zeichnet Kontinuitäten der preußischen Germanisierungspolitik bis in die NS-Zeit nach und präsentiert die Akteure in den selbst geschaffenen Fallstricken ihrer Politik. Sie ist ein Plädoyer, die gängige Vorstellung vom nationalsozialistischen Deutschland als »Rassestaat« zu überprüfen.
Includes bibliographical references and index.
Cover; Studien zur Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts; Titelseite; Impressum; Widmung; Inhaltsverzeichnis; Einleitung; Forschungsliteratur; Quellen; »Deutscher Drang nach Polen«; Antipolnische Germanisierungspolitik: auf dem Weg zum deutschen Nationalstaat; Deutsche Minderheiten in Polen als Komplizen und Instrument deutscher Aggression; Revisionismus in der Weimarer Republik; Verkehrte Verhältnisse: Ausgleich mit Polen als Voraussetzung nationalsozialistischer »Lebensraum«-Politik; Entscheidung zum Krieg; Krieg: Projektion der »Lebensraum«-Dystopien auf Polen
Genese der »Lebensraum«-Politik im KriegPerpetuierung der Gewalt: Einrichtung der deutschen Besatzungsherrschaft; Neue Grenzen; Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums; Einrichtung der Zivilverwaltungen; Herrschaftssicherung: Bevölkerungspolitische Stabilisierung des deutschen Besatzungsregimes; Vertreibung und Ermordung potentieller Gegner; Die Nisko-Aktion: gescheiterter Auftakt; Modell Gotenhafen: Etablierung eines Umsiedlungskreislaufs; Durchgriff des Reichssicherheitshauptamtes; Erster Nahplan: Deportation der polnischen Elite
Einbindung der zuverlässigen »deutschen Volkszugehörigen«Initiativen in den einzelnen Provinzen; Schlesien; Danzig-Westpreußen; Einrichtung der Deutschen Volksliste im Wartheland; Einführung der deutschen Staatsangehörigkeit durch das Reichsinnenministerium; »Lebensraum«: Bevölkerungspolitik im Spannungsfeld von rassischer Hybris und Herrschaftsrationalität; Herrschaftsfunktionale Dilemmata rassischer Deportationspolitik; Zwischenplan: Abschiebung von Juden oder Ansiedlung ethnischer Deutscher?; Zweiter Nahplan: rassische Angstphantasien und Arbeitskräftemangel
Danzig-Westpreußen: zum Deutschen erzogenSS kontra Reichsinnenministerium; »Entscheidendes Kriterium [...] muss Rasse sein«: der SS-Gegenentwurf; Himmlers Erfolg: der Erlass zur Überprüfung und Aussonderung der Bevölkerung; Die Macht der Gauleiter; Abschluss der Deutschen Volksliste im Wartheland; »Deutschstämmigenaktion« in Danzig-Westpreußen; »Polenliste« in Oberschlesien; Arbeitseinsatz: Bevölkerungspolitik als Ausbeutungs- und Assimilationspolitik; Zwangsarbeiter für das Deutsche Reich; Scheitern der rassischen Musterungen; Dritter Nahplan, zweiter Teil: Kompromissversuche
Erweiterter dritter Nahplan: endgültiger Kollaps des Umsiedlungskreislaufs
Gerhard Wolfs innovative Studie ist ein Plädoyer, die gängige Vorstellung vom nationalsozialistischen Deutschland als »Rassestaat« zu überprüfen. Für die Forschung zur nationalsozialistischen Besatzungspolitik in Polen scheint der Befund eindeutig: Auf einen brutal geführten Krieg folgte der von der SS vorangetriebene Versuch, zumindest den annektierten Westen in einen »Exerzierplatz« rassischer Lebensraumpolitik zu verwandeln, in eine - so Himmler - »blonde Provinz«. Gerhard Wolfs Analyse fördert indes Überraschendes zutage: Nicht der SS-Apparat war hier maßgeblicher Schrittmacher der Germanisierungspolitik, sondern die Zivilverwaltungen. Himmler schaltete sich erst ein, als diese eine Selektionspraxis durchsetzten, die die »völkische Zugehörigkeit« zum alles entscheidenden Selektionskriterium erklärten. Die Untersuchung bricht mit den gängigen Annahmen über nationalsozialistische Besatzungspolitik, zeichnet Kontinuitäten der preußischen Germanisierungspolitik bis in die NS-Zeit nach und präsentiert die Akteure in den Fallstricken ihrer eigenen Politik.
Gerhard Wolf, Dr. phil., Historiker, Senior Lecturer in History an der University of Sussex in Brighton, UK.