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Inklusion und Bildungsstandards - gegensätzliche Anforderungen für Unterricht und Leistungsbeurteilung?: Empirische Studien zur Perspektive von Lehrkräften
Ort / Verlag
Berlin: Freie Universität Berlin
Erscheinungsjahr
2019
Beschreibungen/Notizen
In deutschsprachigen Schulsystemen treffen aktuell die Reformansätze der Inklusion und der Bildungsstandards aufeinander, wodurch ein vielschichtiger bildungswissenschaftlicher Diskurs um deren Vereinbarkeit ausgelöst wurde. Jedoch liegt kaum Evidenz dazu vor, ob und inwiefern Lehrkräfte mit diesen aktuell bedeutsamen Reformen unterschiedliche oder gar gegensätzliche Anforderungen verbinden. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde unter Rückgriff auf sozialpsychologische und erziehungswissenschaftliche Theorien empirisch untersucht, wie sich in der Literatur diskutierte potentielle Gegensätze zwischen Inklusion und Bildungsstandards aus der Sicht von Lehrkräften darstellen. Dabei wurden Aspekte der Unterrichtsgestaltung (Studie 1) ebenso betrachtet wie Aspekte der Leistungsbeurteilung (Studie 1 und Studie 2) und Konsequenzen, die mit der Hervorhebung unterschiedlicher Beurteilungsmaßstäbe im Kontext beider Reformen für die Leistungsbeurteilung bestimmter Schülergruppen verbunden sein können (Studie 3). Die experimentell angelegte Studie 1 untersuchte auf Basis der theoretischen Unterscheidung von Sicht- und Tiefenstrukturen des Unterrichts (Oser & Baeriswyl, 2001) und der Theorie der Bezugsnormorientierung (BNO, Rheinberg, 1980) an einer Stichprobe von N = 135 Lehrkräften im Vorbereitungsdienst, inwiefern diese mit Inklusion und Bildungsstandards eine jeweils andere Unterrichtsgestaltung und Leistungsbeurteilung verbinden. Dabei wurden zwei Perspektiven der Unterrichtsbeschreibung (Selbst- und Fremdeinschätzung) kontrastiert. Die Ergebnisse zeigten, dass sich aus Lehrersicht inklusiver Unterricht von standardorientiertem Unterricht hinsichtlich der Umsetzung zentraler Merkmale von Unterrichtsqualität und hinsichtlich der darin auftretenden BNO bei der Leistungsbeurteilung unterscheidet. Berichtete Unterschiede waren zum Teil auf Einstellungen zu und Erfahrungen mit beiden Reformen sowie diesbezügliche Selbstwirksamkeitserwartungen seitens der Lehrkräfte zurückzuführen und variierten mit der Perspektive, aus der Unterricht beschrieben wurde. Davon ausgehend, dass Inklusion und Bildungsstandards unterschiedliche Bezugsnormen bei der Leistungsbeurteilung (Rheinberg, 1980) implizieren, untersuchte die experimentell angelegte Studie 2 anhand einer Stichprobe von N = 57 Lehrkräften im Vorbereitungsdienst, inwiefern eine Auseinandersetzung mit Bildungsstandards oder Inklusion in Abhängigkeit von den Einstellungen zu diesen Reformen zur Anwendung unterschiedlicher Bezugsnormen führt. Die Auseinandersetzung mit Bildungsstandards zog bei Lehrkräften mit einer positiven Einstellung zu diesen eine schwächer ausgeprägte individuelle BNO sowie tendenziell eine stärker ausgeprägte soziale BNO nach sich, während diese bei Personen mit einer negativen Einstellung zu Bildungsstandards zu einer stärker ausgeprägten individuellen BNO und tendenziell zu einer schwächer ausgeprägten sozialen BNO führte. Die Auseinandersetzung mit Inklusion beeinflusste die BNO hingegen nicht, weder bei positiver noch bei negativer Einstellung zu Inklusion. Da im Kontext beider Reformen unterschiedliche Maßstäbe der Leistungsbeurteilung hervorgehoben werden, untersuchte Studie 3 mögliche Konsequenzen der Anwendung subjektiver und objektiver Beurteilungsskalen für die Leistungsbeurteilung stereotypisierter Schülergruppen, wobei die sozialpsychologische Shifting-Standards-Theorie (z.B. Biernat, Manis & Nelson, 1991) zugrunde gelegt wurde. Die Studie gliederte sich in zwei experimentelle Vignettenstudien, wobei Teilstudie 1 (N = 115 Lehramtsstudierende) negative Stereotype gegenüber Mädchen in Mathematik fokussierte und Teilstudie 2 (N = 265 Lehramtsstudierende) negative Stereotype gegenüber türkischstämmigen Schülern in Deutsch. In beiden Teilstudien wurde jeweils das Mitglied der stereotypisierten Schülergruppe bei gleicher Leistung auf der objektiven Beurteilungsskala negativer eingeschätzt als das Mitglied der nicht stereotypisierten Schülergruppe, während sich auf der subjektiven Beurteilungsskala kein Unterschied in der Einschätzung beider Schülergruppen zeigte. Die Ergebnisse der drei Studien weisen auf bedeutsame Aspekte hin, hinsichtlich derer aus der Sicht von Lehrkräften unterschiedliche Anforderungen mit Inklusion und Bildungsstandards verbunden sein können, und tragen somit Erkenntnisse zur wahrgenommenen Vereinbarkeit beider Reformen in Bezug auf Unterrichtsgestaltung und Leistungsbeurteilung bei. Abschließend werden aus den Ergebnissen Vorschläge für die pädagogische Praxis sowie weitere Fragestellungen für die zukünftige Forschung abgeleitet. (Orig.).
At present, two main reforms are implemented simultaneously within the educational systems of German speaking countries: inclusion and educational standards. The issue of whether the two are compatible figures prominently in current scientific debate. Although it is discussed in the literature that these reforms may have contradictory implications for teaching and performance evaluation, only few empirical studies have addressed this issue from a teachers´ perspective. The present dissertation attempts to fill this gap using approaches from educational sciences and social psychology. For that purpose, aspects of instructional quality (Study 1) as well as aspects of performance evaluation (Study 1 and Study 2) and consequences were examined, which may occur for specific social groups of students since both reforms highlight different approaches to performance evaluation (Study 3). The experimental Study 1 was based on the theoretical distinction between surface structures and deep structures of instruction (Oser & Baeriswyl, 2001) and the theory of reference norm orientation (Rheinberg, 1980). It examined how trainee teachers (N = 135) perceive instructional quality and performance evaluation in the context of inclusion and educational standards respectively, taking account of two perspectives on teaching - the own perspective and the external perspective. Trainee teachers associated different forms of instructional quality and different reference norm orientations with inclusion and educational standards. Attitudes towards both reforms, experiences with them and self-efficacy beliefs partly explained these differences. Further, reported differences between the two reforms varied depending on the perspective from which instructional quality and performance evaluation were described. Given inclusion and educational standards are associated with different reference norm orientations (Rheinberg, 1980) and taking account of subjects´ preexisting attitudes, the experimental Study 2 tested whether exposure to the concepts of "inclusion" vs. "educational standards" affected trainee teachers´ (N = 57) reference norm orientations. Teachers preferred either an individual reference norm or a social reference norm depending on their attitudes towards educational standards after being exposed to this concept. Confronting teachers with inclusion had no effect on their reference norm orientations regardless of a priori attitudes towards inclusion. Inclusion and educational standards highlight different approaches to performance evaluation. Against this background and based on the shifting standards theory (e.g., Biernat, Manis & Nelson, 1991) Study 3 examined possible consequences of applying subjective or objective scales on performance evaluation of negatively stereotyped students. The study was divided in two experimental vignette studies. Substudy 1 (N = 115 student teachers) focused on the stereotype that boys are better at mathematics than girls, substudy 2 (N = 265 student teachers) addressed the stereotype that students with a Turkish immigrant background perform worse at school than nonimmigrant students, especially in the subject German. Both substudies revealed that stereotyped students were evaluated less favorably than nonstereotyped students when objective scales were used, but were evaluated similarly to nonstereotyped students when subjective scales were applied. In summary, the results point to important aspects for which inclusion and educational standards may have conflicting implications from a teachers´ perspective. Thus, they contribute relevant findings to the current scientific debate on possibly conflicting demands imposed on teachers by inclusion vs. standardization reforms. Finally, implications for future research and practice are suggested based on the findings. (Orig.).