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Volksseuche“ oder Randerscheinung?: Die „Kokainwelle“ in der Weimarer Republik aus medizinhistorischer Sicht
Ist Teil von
Naturwissenschaften, Technik und Medizin, 2017-09, Vol.25 (3), p.311-348
Ort / Verlag
Cham: Springer International Publishing
Erscheinungsjahr
2017
Quelle
Alma/SFX Local Collection
Beschreibungen/Notizen
Zusammenfassung
Die populäre Vorstellung, exzessiver Drogenkonsum sei in der Weimarer Republik ein gesellschaftlich weit verbreitetes Phänomen gewesen, hält einer empirischen Überprüfung nicht stand. Obwohl Mediziner die Öffentlichkeit und die Politik vor einer „Kokainwelle“ warnten, die die „Volksgesundheit“ bedrohe, existieren keine Belege, die auf eine signifikante Zunahme des Kokainkonsums in den Zwanziger Jahren hindeuten. Die entscheidende Ursache für diese moralische Panik lag vielmehr im Krankheitsbild des Kokainismus begründet. Die Sucht trug das Gepräge einer Infektionskrankheit und sollte den Körper, den Willen und die bürgerliche Existenz der Betroffenen vernichten. Gemäß der medizinischen Lehrmeinung erzeugte chronischer Kokainkonsum die Neigung zu abweichenden Sexualpraktiken und kriminellen Handlungen. Daher wurde der Gebrauch der Substanz vor allem mit ohnehin als deviant markierten sozialen Milieus wie der sogenannten Bohème und Halbwelt verknüpft. Tatsächlich zeigen historische Quellen jedoch, das es sich hierbei primär um ein Problem der medizinischen Berufe handelte. Vor dem Hintergrund der desolaten politischen, sozialen und ökonomischen Lage Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg betrachteten viele Mediziner Suchtkrankheiten wie Kokainismus und Morphinismus als Bedrohung für den erhofften politischen und biologischen Wiederaufstieg der Nation.